18. Dezember 2014

Wer ist Señor Rodríguez?



Fragwürdige Identität Auszug aus Teil 1

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Sein Mund war auffallend trocken. Intensiv kribbelten seine Lippen, was sich anfühlte, als würden sie unter Strom stehen. Anfangs wurde diese Empfindung stärker, damit nahmen aber auch die heftigen Kopfschmerzen zu. Gemächlich ging das Kitzeln zurück, der dumpfe zunehmende Schmerz im Kopf, der durch den Geruch von Desinfektionsmittel verstärkt wurde, beendete diesen Dämmerzustand. Ein gedämpftes rhythmisches Piepen drang in sein Bewusstsein. Die bisher langen Pausen verkürzten sich hörbar. Obwohl er wusste, dass hier etwas nicht stimmte, konnte er nicht bestimmen was. Seine Gedanken waren vernebelt, als verwehre ihm eine Wand, darauf zurückzugreifen. Behaglich warm war ihm, dennoch begannen seine Hände zu zittern. Ein verhaltenes Stöhnen löste sich aus seinem kratzenden Rachen. Er hatte ungeheuren Durst. 
»Hey?«, sagte eine angenehme Frauenstimme leise, als wollte sie ihn nicht stören. »Mi Amor!« Eine Hand strich ihm über die Stirn, so dass er versuchte die Augen zu öffnen. 
»Ich hab ja gesagt, er ist ein Kämpfer!« Diese dunkle Männerstimme rief ein merkwürdiges Unwohlsein ihn ihm wach. 
Er spürte einen zarten Kuss auf seiner Wange. »Sieh mich an, por favor!« Seine Augenlider waren bleischwer, vielmehr meinte er, sie seien zugeklebt. Nach einigen Versuchen gelang es ihm, sie zu öffnen. Er benötigte einen Augenblick, bis sich sein verschleierter Blick klärte. Große braune Augen strahlten ihn an. »Mi Amor! Wie fühlst du dich?« Ihre schwarzen langen Haare waren elegant nach oben gesteckt. Drei lockige Strähnen hingen ihr ins hübsche Gesicht. Sie lächelte.
Er holte Luft, was anstrengend war. »Wasser, por favor!«
Die Señora griff nach links zum Nachttisch, goss Wasser aus einer Flasche ins Glas und setzte es ihm an die Lippen. Seine Arme fühlten sich ungewöhnlich schwer an, als er sie hob, um zu trinken. Das Zittern in seinen Händen ließ nach. 
»Oh, Nicolás!« Sie nahm ihm das Glas ab, wobei sie ihre andere Hand sanft um seine Rechte strich. Das Geräusch einer sich öffnenden Tür weckte seine Aufmerksamkeit. Eine Wandleuchte seitlich von seinem Bett gab ein angenehm gedämpftes Licht. Schwerfällig richtete er den Blick auf den älteren Señor, der am Bettende stand. Ein jüngerer Señor, Mitte dreißig, im weißen Kittel kam nun von der Tür her auf ihn zu. Die hübsche junge Señora zu seiner Linken legte seine Hand aufs Bett ab und trat zurück. 
»Da haben wir Sie ja wieder!«, sagte der Arzt und schien sein Gesicht intensiv zu mustern. Er stellte das obere Bettteil ein Stück auf, zog eine kleine Stabtaschenlampe aus seiner Brusttasche und warf ihm einen Lichtschein auf das rechte, dann auf das linke Auge. »Das war knapp, Señor Rodríguez!« Er wandte sich zu dem älteren Señor um. »Blutzucker und Nierenwerte normalisieren sich langsam. Ich denke, es geht jetzt bergauf.« 
›Señor Rodríguez‹, hatte ihn der Arzt angesprochen. Dieser Name kam ihm auf eine gewisse Art vertraut vor. Dennoch meinte er, das wäre nicht sein Name, aber wie hieß er? Weder diese attraktive junge Dame noch der ältere Señor an seinem Bettende kamen ihm bekannt vor. Ein sonderbares Gefühl von Leere breitete sich mit dieser Überlegung aus. In seinem Gedächtnis gab es nichts, was vor dem Erwachen geschehen war. 
»... ansprechbar ist, würde ich die Infusion nicht weiter fortsetzen. Ich schlage vor, wir konzentrieren uns wieder auf die Physiotherapie, damit er möglichst schnell in seine gewohnte Umgebung kommt.« Der Arzt sprach offenbar mit dem Älteren, was ihm durch sein intensives Nachdenken entgangen sein musste. »Das wäre nach all den Monaten wirklich das Heilsamste.« 
Fieberhaft suchte er nach einem Namen, nach einem Ereignis, nach einer winzig kleinen Erinnerung. Doch sein Kopf war wie leergeräumt. Seine Kopfschmerzen verstärkten sich. Schwerfällig fielen seine Augen zu. Bleierne Müdigkeit überdeckte sogar das Brennen in seinen Beinen, das mit jedem Moment zunahm. 
»Mi Amor«, klang eine besorgte Stimme wie aus weiter Ferne zu ihm. »Ich liebe dich, Nicolás.« Dieser dösende Zustand schien ihm wie ein mächtiger Sog, der ihn ungewollt in den Schlaf zerrte.