Fragwürdige Identität Auszug aus Teil 1
Tag null
Sein Mund war auffallend
trocken. Intensiv kribbelten seine Lippen, was sich anfühlte, als würden sie
unter Strom stehen. Anfangs wurde diese Empfindung stärker, damit nahmen aber
auch die heftigen Kopfschmerzen zu. Gemächlich ging das Kitzeln zurück, der dumpfe
zunehmende Schmerz im Kopf, der durch den Geruch von Desinfektionsmittel
verstärkt wurde, beendete diesen Dämmerzustand. Ein gedämpftes rhythmisches
Piepen drang in sein Bewusstsein. Die bisher langen Pausen verkürzten sich
hörbar. Obwohl er wusste, dass hier etwas nicht stimmte, konnte er nicht
bestimmen was. Seine Gedanken waren vernebelt, als
verwehre ihm eine Wand, darauf zurückzugreifen. Behaglich warm war ihm, dennoch
begannen seine Hände zu zittern. Ein verhaltenes Stöhnen löste sich aus
seinem kratzenden Rachen. Er hatte ungeheuren Durst.
»Hey?«, sagte eine
angenehme Frauenstimme leise, als wollte sie ihn nicht stören. »Mi Amor!« Eine
Hand strich ihm über die Stirn, so dass er versuchte die Augen zu öffnen.
»Ich
hab ja gesagt, er ist ein Kämpfer!« Diese dunkle Männerstimme rief ein
merkwürdiges Unwohlsein ihn ihm wach.
Er spürte einen zarten Kuss auf seiner
Wange. »Sieh mich an, por favor!« Seine Augenlider waren bleischwer, vielmehr
meinte er, sie seien zugeklebt. Nach einigen Versuchen gelang es ihm, sie zu
öffnen. Er benötigte einen Augenblick, bis sich sein verschleierter Blick
klärte. Große braune Augen strahlten ihn an. »Mi Amor! Wie fühlst du dich?«
Ihre schwarzen langen Haare waren elegant nach oben gesteckt. Drei lockige
Strähnen hingen ihr ins hübsche Gesicht. Sie lächelte.
Er holte Luft, was
anstrengend war. »Wasser, por favor!«
Die Señora griff nach links zum
Nachttisch, goss Wasser aus einer Flasche ins Glas und setzte es ihm an die
Lippen. Seine Arme fühlten sich ungewöhnlich schwer an, als er sie hob, um zu
trinken. Das Zittern in seinen Händen ließ nach.
»Oh, Nicolás!« Sie nahm ihm
das Glas ab, wobei sie ihre andere Hand sanft um seine Rechte strich. Das
Geräusch einer sich öffnenden Tür weckte seine Aufmerksamkeit. Eine Wandleuchte
seitlich von seinem Bett gab ein angenehm gedämpftes Licht. Schwerfällig richtete
er den Blick auf den älteren Señor, der am Bettende stand. Ein jüngerer Señor,
Mitte dreißig, im weißen Kittel kam nun von der Tür her auf ihn zu. Die hübsche
junge Señora zu seiner Linken legte seine Hand aufs Bett ab und trat zurück.
»Da haben wir Sie ja wieder!«, sagte der Arzt und schien sein Gesicht intensiv
zu mustern. Er stellte das obere Bettteil ein Stück auf, zog eine kleine
Stabtaschenlampe aus seiner Brusttasche und warf ihm einen Lichtschein auf das
rechte, dann auf das linke Auge. »Das war knapp, Señor Rodríguez!« Er wandte
sich zu dem älteren Señor um. »Blutzucker und Nierenwerte normalisieren sich
langsam. Ich denke, es geht jetzt bergauf.«
›Señor Rodríguez‹, hatte ihn der
Arzt angesprochen. Dieser Name kam ihm auf eine gewisse Art vertraut vor.
Dennoch meinte er, das wäre nicht sein Name, aber wie hieß er? Weder diese
attraktive junge Dame noch der ältere Señor an seinem Bettende kamen ihm
bekannt vor. Ein sonderbares Gefühl von Leere breitete sich mit dieser
Überlegung aus. In seinem Gedächtnis gab es nichts, was vor dem Erwachen geschehen
war.
»... ansprechbar ist, würde ich die Infusion nicht weiter fortsetzen. Ich
schlage vor, wir konzentrieren uns wieder auf die Physiotherapie, damit er
möglichst schnell in seine gewohnte Umgebung kommt.« Der Arzt sprach offenbar
mit dem Älteren, was ihm durch sein intensives Nachdenken entgangen sein
musste. »Das wäre nach all den Monaten wirklich das Heilsamste.«
Fieberhaft
suchte er nach einem Namen, nach einem Ereignis, nach einer winzig kleinen
Erinnerung. Doch sein Kopf war wie leergeräumt. Seine Kopfschmerzen verstärkten
sich. Schwerfällig fielen seine Augen zu. Bleierne Müdigkeit überdeckte sogar
das Brennen in seinen Beinen, das mit jedem Moment zunahm.
»Mi Amor«, klang
eine besorgte Stimme wie aus weiter Ferne zu ihm. »Ich liebe dich, Nicolás.«
Dieser dösende Zustand schien ihm wie ein mächtiger Sog, der ihn ungewollt in
den Schlaf zerrte.