Felis Vigor
Selenorischer Roman 3
Fund
Verkohlte Baumstümpfe ragten aus der schwarzen
Erde empor. In der Luft lag ein beißender Geruch nach verbranntem Holz, nach
Ruß und nach Tod. Eine bizarre Erscheinung leuchtete am Firmament: Der große
rote Mond stand exakt hinter dem kleineren weißen. Ein roter Kreis zog sich um
den weißen Mond herum. Beide strahlten in voller Größe und schienen auf ein am
Boden liegend, ächzendes Geschöpf. Vierzehn leuchtende, rote Mondsteine lähmten
den nackten, abgemagerten Körper. Nur Fetzen einer zerschlissenen Hose
bedeckten den blutverschmierten Leib.
Plötzlich tauchte aus dem Schatten der
Dunkelheit ein kräftiger Mann in einem roten Anzug und roten Stiefeln auf.
Seine buschigen Augenbrauen und seine große Nase wirkten fast furchterregend.
Geheimnisvoll glänzten seine hellbraunen Augen. „Eine äußerst denkwürdige
Nacht, mein lieber Nurel! Leider wirst du heute auf die Mondsteine verzichten
müssen. Ich benötige sie für einen ganz besonderen Schüler.“ Der Mann schnürte
einen Strick um das linke Handgelenk seines Gefangenen. Das andere Ende des
Seils befestigte er an einem dicken Baumstumpf. Als er die rechte Hand ergriff,
zuckten sacht Nurels Finger. „Du wirst doch keinen Widerstand leisten?“, lachte
der Fremde. Auch das rechte Handgelenk wurde vom Rumpf gestreckt an einem
Stumpen festgebunden. Die Fußgelenke fesselte der Unbekannte fest zusammen und
knüpfte das Seilende ebenfalls um einen restlichen Baumstamm. „So wird es
unterhaltsamer für dich!“ Er band ein Tuch über die Augen seines Opfers,
sammelte die roten Mondsteine in seine Tasche und verschwand in den Schatten
der Nacht.
„… mein lieber Nurel“, hatte der Fremde ihn
genannt. Nurel war sich nicht bewusst, wer diese Gestalt war. Er hatte keine
Kenntnis darüber, wie er in diese Situation geraten und schon gar nicht, wer er
selbst war. Er hatte lediglich diesen Namen: Nurel. Nur langsam ließen die
Schmerzen nach, die seinen gesamten Körper plagten. Jeder Bewegungsversuch war
von einer beißenden Kälte begleitet, die seine Beschwerden verschlimmerten. Er
begann zu zittern. Seine ausgestreckten Arme waren so straff auseinander
gebunden, dass es ihm nur unter Schmerzen möglich war, seinen Oberkörper zu
bewegen. Nurel hatte diesen Fremden nicht gesehen. Diese Mondsteine hatten
seinen ganzen Körper so gelähmt, dass er nicht mal in der Lage war, die
Augenlider zu öffnen. Was er wohl verbrochen hatte, dass man ihn derart
folterte? Die Seile an den Hand- und Fußgelenken waren eng zusammengeknotet. In
seiner Verzweiflung versuchte er sich aus den Fesseln zu winden, doch er spürte
nur, wie die derben Stricke ihm die Haut abscheuerten. So sehr er auch zerrte
und zog, Nurel konnte sich nicht befreien. Plötzlich zuckte er zusammen. Sein
Herz begann zu rasen. Er nahm eine weiche Pfote auf seinem Bauch wahr. Dann
folgte eine Zweite, die sich tief in seinen Unterleib drückte. Eine
schnuppernde, kalte Nase glitt ihm über den Rumpf. Was mochte das für ein
Getier sein? Für eine Katze waren die Tatzen zu groß und zu schwer, ein Wolf
besaß doch eher lange Krallen. Nurel sah seine letzte Stunde gekommen. Starr
vor Angst wagte er kaum zu atmen. Eine raue Zunge fuhr ihm mehrfach die Brust
entlang. Eine Pfote verschwand von seinem Körper. Für einen Augenblick hoffte
Nurel, dieses Tier würde sein Interesse an ihm verlieren. Im nächsten Moment
spürte er ein schmerzhaftes Reißen in seinem Leib, als würden Messerklingen ihm
die Haut durchtrennen. Nurel schrie auf, mehr erschrocken, als vor Schmerz.
Erneut empfand er ein mächtiges Reißen auf seiner Brust, dann schien das Tier
tatsächlich davonzujagen. Nurel atmete tief durch. Sein frisches Blut würde mit
Sicherheit die Wölfe anlocken, damit wäre sein Schicksal besiegelt. Überrascht
stellte er fest, dass der Strick an seinem linken Handgelenk etwas nachgab.
Merklich war der Stamm oder der Pfahl, an dem es befestigt war, lose. Er
sammelte all seine Kraft und zerrte kräftig an den Fesseln. Um ein Stöhnen zu
unterdrücken, presste er die Lippen aufeinander. Er benötigte einige Versuche,
bis er wahrhaft den lockeren Pfahl aus der Erde ziehen konnte und seine Hand
befreit hatte. Zuerst streifte Nurel die Augenbinde ab, knotete danach seine
rechte Hand frei und schließlich die Fußgelenke.
Ein markerschütternder Schrei aus der Ferne
hallte durch die Nacht.
Nurel schaute sich um. Offenbar war er nicht der
Einzige, der gequält wurde. Ringsherum erblickte er verkohlte Baumstümpfe,
Reste eines niedergebrannten Waldes so weit er sehen konnte. Direkt über ihm
standen die beiden Monde und leuchteten auf ihn herab. Sein Rumpf, die
Gliedmaßen, alles war blutverschmiert. Doch bis auf die Abschürfungen seiner
Fesseln und die Wunden der Tierkrallen konnte er keine Verletzungen entdecken.
Warum sollte man ein Geschöpf mit Blut besudeln? Welche Bedeutung hatte das?
Wenn er überleben wollte, musste er hier schnellstens verschwinden. Energisch
stand er auf. Seine Beine wollten ihn kaum tragen. Kraftlos und zitternd setzte
er einen Fuß vor den anderen. Das Gehen fiel ihm entsetzlich schwer, als wäre
er schon sehr lange nicht mehr gelaufen. Was war nur mit ihm geschehen? Wie sollte
er diesem Mann entkommen? Bestimmt würde er seine Fußspuren verfolgen. Nur gab
es weit und breit kein Gestrüpp, mit dem man die Fußstapfen hätte verwischen
können. Schwerlich kam er vorwärts und fiel letztlich zu Boden. Nurel versuchte
aufzustehen. Die schwarze Erde klebte nun auf seinem Körper, vermischte sich
mit dem Blut auf seinem Bauch. Er musste weiter! Seine Arme schienen kräftiger
zu sein und so kam ihm der Gedanke, sich auf allen Vieren fortzubewegen. Auf
den Händen und Knien ging es wesentlich rascher voran. Ohne sich umzudrehen,
krabbelte er, so schnell er konnte, vorwärts. Auch als ihm vor Müdigkeit, vor
Erschöpfung die Augen zufielen, zwang er sich, nicht anzuhalten.
Dieses Buch zu überarbeiten hat mir sehr großen Spaß gemacht, denn ich war die letzten 6 Wochen sehr intensiv mit meinem eigensinnigen Protagonisten "Nurel" zusammen.
Spätestens am Ende des Monats ist auch das Lektorat soweit, dass sich das Buch im neuen Kleid, mit überarbeitetem Text präsentieren kann.
Dankeschön an meine Unterstützung, die akribisch auf die Fehlersuche gegangen ist.
Wer eines meiner letzten Printbücher (334 Seiten) mit Widmung erstehen möchte, darf sich gern an mich wenden.
Danke für den kleinen Einblick, der viele Fragen aufwirft! Macht Lust auf mehr :)
AntwortenLöschenDer beschreibende Schreibstil gefällt mir sehr gut und aktiviert mein Kopfkino! Ich kann mir die Umgebung bildlich vorstellen. Ich mag es, wenn ich in die Welt der Geschichte einsteigen kann.
Dankeschön für das Lob!
AntwortenLöschenFreue mich auf weiteres Feedback!
Hab einen tollen Start in die neue Woche!
Selenorische Grüße
Angel